Die frühe Entwicklung der „Wiedergutmachung“ (1945-1950)

Unter der sogenannten „Wiedergutmachung“ versteht man die Rückerstattung und Entschädigung des nationalsozialistischen Unrechts nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, für die es kein historisches Vorbild gab. Die frühe Wiedergutmachungspolitik unterscheidet sich in den jeweiligen Besatzungszonen mehr oder minder deutlich. Während die „Wiedergutmachung“ insbesondere in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nicht oder nur spärlich thematisiert wurde, unterlag sie im Westen den Amerikanern, Briten und Franzosen.

Die Rückerstattung
Während über viele Inhalte der „Wiedergutmachung“ 1945 noch gestritten wurde, waren die Grundsteine bereits gelegt: Denn die Behörden hatten mit der Erfassung und Verwaltung von ehemals jüdischem Vermögen sehr früh nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bereits begonnen. Im Oktober 1945 wurden flächendeckend Dienststellen auf Kreisebene ausgestaltet. Diese Ämter für Vermögenskontrolle sollten mithilfe des Gesetzes Nr. 52 „Sperre und Kontrolle von Vermögen“ u. a. Vermögen ausfindig machen, die „Gegenstand von Übertragung unter Zwang, ungerechtfertigter Entziehung, Enteignung oder Wegnahme“ außerhalb und ab Juli 1945 auch innerhalb Deutschlands war. Ab 1946 lösten die Ämter für kontrollierte Vermögen Koblenz (und später auch Mainz), den französischen Service du Contrôle Biens ab, denen auch die seit 1945 eingerichteten Kreisämter unterstellt wurden. Als absehbar war, dass eine gemeinsame westalliierte Wiedergutmachungsgesetzgebung scheitern würde, erließ der Oberkommandeur Koenig am 10. November 1947 die Verordnung 120, die die Rückerstattung regelte. Diese wurde ab 1948 juristisch durch die Restitutionskammern (später Wiedergutmachungskammern) bei den Landgerichten unterstützt.

Die Entschädigung
Während die Rückerstattung im allgemeinen wissenschaftlichen Konsens relativ reibungslos, zügig und auch größtenteils zur Zufriedenheit verlief, war die Entschädigung besonders problematisch. Bereits im April 1945 bildeten sich noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs spontan Hilfsausschüsse, die die Überlebenden bei Kleidung, Nahrung und Unterkunft versorgten. Diese „Ausschüsse der Opfer des Faschismus“ wurden von den westlichen Militärkommandaturen anerkannt. Parallel zur Gesetzgebung über die Rückerstattung des geraubten Vermögens bildeten sich Stellen, die die Militärregierung ab dem 8. September 1945 bei den Bürgermeister- und Landratsämtern einrichtete: Die Betreuungsstellen „Opfer des Faschismus“, die als Gesprächspartner für die Kommunalverwaltungen fungierten. In Rheinland-Hessen-Nassau fehlte eine koordinierte Opfer-Erfassung und -Betreuung. Auf der Rechtsgrundlage der jeweiligen Militärgesetzgebung setzten sich diese Ausschüsse und Betreuungsstellen insbesondere aus ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern zusammen. Diese organisierten die Anerkennung, erste Zahlungen und Vorteile für ehemalig Verfolgte, wie vergünstigte Buskarten, sowie auch erste Gutachten über gesundheitliche Leiden, die man sich im Zuge der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen zugezogen hatte. Unterteilen lassen sich diese frühen und kommunal organisierten Wiedergutmachungsleistungen insbesondere in: Kostenfreie medizinische Versorgung, Rentenzahlungen, Wohnhilfe, kostenfreie Rechtsberatung sowie symbolische Anerkennung. Am 29. Juni 1948 erließ die französische Militärregierung die Entschädigungsverordnung Nr. 164, die eine weitere finanzielle Regelung für die Entschädigungszahlungen aus einem dafür eingerichtetem Fonds vorsah und durch das am 22. Mai 1950 in Rheinland-Pfalz verabschiedete Landesgesetz über die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus (LEG) abgelöst wurde. Finalisiert wurde die Entschädigungsgesetzgebung dann vorerst durch das „Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung“ (BEG) vom 29. Juni 1956, das rückwirkend zum 1. Oktober 1953 in Kraft trat und die Organisation der Entschädigung auf Bundesebene regelte. In § 185 Abs. 2 Nr. 3 lit. d BEG bekamen die rheinland-pfälzischen Wiedergutmachungsbehörden die Zuständigkeit für Verfolgte mit Wohnsitz oder dauerndem Aufenthalt in außereuropäischen Ländern.

Einführende Literaturhinweise:
Valentin Aichele (Hg.), Das Recht auf Wiedergutmachung, 2023
Norbert Frei, Die Praxis der Wiedergutmachung. Geschichte, Erfahrung und Wirkung in Deutschland und Israel, 2009
Constantin Goschler, Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus (1945–1954), 1992 (Diss.)
Jürgen Lillteicher, Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Studie über Verfolgungserfahrung, Rechtsstaatlichkeit und Vergangenheitspolitik 1945–1971, 2002 (Diss.)
Christian Pross, Wiedergutmachung. Der Kleinkrieg gegen die Opfer, 1988
Walter Rummel/Jochen Rath, Dem Reich verfallen – den Berechtigten zurückzuerstatten. Enteignung und Rückerstattung jüdischen Vermögens im Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz 1938–1953 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Bd. 96), 2001
Walter Rummel/Jochen Rath/Petra Weiß, Die nationalsozialistische Judenverfolgung im Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz. Eine Quellensammlung zur Entrechtung, Enteignung und Deportation der Juden und den Anfängen der "Wiedergutmachung“, 2002
Walter Rummel/Jochen Rath/Petra Weiß (Hg.), Verfolgung und Verwaltung, Enteignung und Rückerstattung jüdischen Vermögens im Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz 1938–1953. Begleitheft zur Ausstellung; eine Ausstellung des Landeshauptarchivs Koblenz in Verbindung mit der Wanderausstellung "Verfolgung und Verwaltung" der Villa ten Hompel Münster und der Oberfinanzdirektion Münster, 23. November 2001 bis 18. Januar 2002 im Bundesarchiv Koblenz, 2001
Walter Rummel, Akten der 'Betreuungsstellen für die Opfer des Faschismus', 2011

Landesgesetz, 1950

Kontakt

Dr. Eike von Boetticher
E.Boetticher(at)lav.rlp.de
0261 9129-102